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Sofortmaßnahmen bei Koliken, Verletzungen und Lahmheiten


Das Pferd als außerordentlich bewegungsfreudiges Tier ist naturgemäß sehr anfällig für Verletzungen aller Art. Seitens des Pferdebesitzers oder -halters gilt auch hier, wie grundsätzlich beim Umgang mit dem Pferd, daß Ruhe bewahrt werden muß. Panische Reaktionen am Pferd verunsichern dieses noch zusätzlich und verhindern, daß eine vernünftige Beurteilung durch den zuerst Anwesenden zustandekommt.

Verletzungen

Verletzungen speziell im Bereich der Gliedmaßen, zumal wenn sie stark bluten, sollten durch Verbandmaterial aus der Stallapotheke mit gazeumwobener Watte umwickelt werden mit einer darüberliegenden Bandage, die unter Umständen fest genug angelegt wird, so daß auch starke Blutungen zum Stehen kommen. Zu diesem Zweck können auch sauber ausgekochte vorhandene Handtücher benutzt werden. Keinesfalls sollte oberhalb der blutenden Wunde eine Strangulation über einen längeren Zeitraum (nicht länger als 5 Minuten) erfolgen.

Ein gut angelegter Druckverband ist besser geeignet, eine Blutung zum Stehen zu bringen, als eine darüberliegende Strangulation von Gefäßen. Die Beurteilung von Verletzungen im unteren Gliedmaßenbereich mit den daraus resultierenden Konsequenzen in bezug auf den Anteil funktionell wichtiger Bereiche ist für den Laien außerordentlich schwierig. So können geringe Stichverletzungen im Bereich der Fessel bereits eine Öffnung des Fesselgelenkes oder der Sehnenscheide zur Folge haben, die oberflächlich harmlos erscheinen, sich jedoch nach einigen Tagen zu schwersten Infektionen der Sehnenscheide oder des Fesselgelenkes entwickeln können.

Vermeintlich unbedeutende Verletzungen in diesem Bereich werden häufig fehleingeschätzt und können zu einer dauerhaften Unbrauchbarkeit des Pferdes führen.

Wenn Unsicherheit besteht, ist es unbedingt ratsam, einen Fachmann zu Rate zu ziehen, weil grundsätzlich gilt, daß wenn eröffnete Gelenke oder Sehnenscheiden erfolgreich ausheilen sollen, dies nur bei entsprechender sorgfältiger tierärztlicher Behandlung erfolgen kann.

Größere Schnitt- oder Schälwunden im Bereich der Gliedmaßen, wo größere Hautareale beteiligt sind, wirken zwar auf den Pferdebesitzer sehr erschreckend, haben jedoch, sofern keine Sehnen, Gelenke, Bänder oder Sehnenscheiden betroffen sind, bestenfalls kosmetische Bedeutung. Auch hier gilt natürlich, besonders im Bereich der Gliedmaßen, daß bei frischen Wunden (unter 6 Stunden) eine chirurgische Versorgung erfolgen sollte, um eine primäre und komplikationslose Wundheilung zu erzielen. Verletzungen im Kopfbereich haben generell, sofern die Haut mit den darunter liegenden Faszienanteilen betroffen ist, sehr gute Heilungstendenz. In diesem Bereich muß das besondere Augenmerk auf Verletzungen im oder am Auge gerichtet werden, weil auch hier gilt, daß nur eine sorgfältige und frühzeitige Wundversorgung die Sehkraft des Pferdes erhalten kann.

Verletzungen an Kopf oder Körper bedürfen, sofern sie nicht tief sind und extrem bluten, seitens des Tierbesitzers nicht zwingend einer sofortigen Behandlung. In der Regel haben diese Wunden Zeit, bis ein Tierarzt zur Stelle ist. Auch hier gilt bei stark blutenden Wunden die Empfehlung, sauber ausgekochte Handtücher auf die Wunde zu drücken, bis es zu einem Stillstand der Blutung gekommen ist. Obwohl das Pferd, gemessen an den anderen Tierarten, eine sehr hohe Infektionsbereitschaft infolge von Wunden zeigt, muß erfreulicherweise konstatiert werden, daß im Bereich des Körpers, sofern es nicht zu Verletzungen von Hohlorganen, speziell Lunge und Bauchraum, kommt, fast immer eine befriedigende Wundheilung zu erzielen ist. Dies gilt um so mehr, wenn unter der Haut liegende Muskelanteile mit durchtrennt sind, und zwar aus dem Grund, weil die Muskulatur immer sehr gut durchblutet ist und es infolgedessen zu einer körperseits veranlaßten Wundspülung kommt mit verhältnismäßig geringer Tendenz zur eitrigen Entzündung des Gewebes. Nicht versorgte Wunden im Bereich der Gliedmaßen, die dann sekundär ausheilen, haben häufig die Tendenz, daß sich sog. Hypergranulationsgewebe, auch wildes Fleisch, bildet. Um dennoch bei sekundär verheilenden Wunden eine befriedigende Hautadaptation zu erlangen, muß dieses Granulationsgewebe durch den Tierarzt beizeiten abgetragen werden, weil nur dann ein flächiger Wundverschluß möglich ist. Diese Neigung zur Ausbildung von wildem Fleisch besteht im Bereich von Körperverletzungen nicht in dem gleichen Maße.

Verhältnismäßig oft beobachtet werden bei der Stute Verletzungen im Bereich der äußeren Genitale, die dann auftreten, wenn Stuten in der Herde zusammen auf der Weide laufen, weil Stuten beim Austragen von Rangordnungskämpfen sich häufig in den äußeren Genitalbereich beißen oder schlagen. Es sind dies Verletzungen, die also keineswegs immer durch Menschen verursacht sind. Erfreulicherweise heilen diese Wunden fast immer ohne größeres chirurgisches Zutun ab, sofern sich dort keine Wundtaschen bilden, in denen sich Wundsekret sammeln kann, was eine Verzerrung der Wundheilung nach sich zieht.

Bei den Verletzungen läßt sich zusammenfassend sagen, daß Verletzungen im Bereich des Körpers und des Kopfes auf den ersten Blick oft verheerend aussehen, in der Konsequenz für die Sicherheit des Pferdes häufig nicht so bedeutsam sind wie Wunden im Bereich der Gliedmaßen. Daher die Empfehlung, daß Verletzungen im Gliedmaßenbereich häufiger einer tierärztlichen Überwachung und Überprüfung bedürfen als jene, die oberflächlich sich am Körper abspielen.

LAHMHEITEN

Das Auftreten von Lahmheiten beim Pferd verursacht erfahrungsgemäß beim Besitzer häufig überschießende Reaktionen insofern, als er verständlicherweise annimmt, daß nun die Gebrauchsfähigkeit seines Pferdes dauerhaft gefährdet ist. Notfallmäßig zu Rate ziehen muß man einen Tierarzt bei einer auftretenden Lahmheit jedoch nur dann, wenn diese Lahmheit wirklich als hochgradig zu bezeichnen ist. Hochgradig bedeutet, daß das Pferd auf drei Beinen steht oder im Schritt deutliche Lahmheitssymptome zeigt. Erfreulicherweise sind die meisten akut hochgradig auftretenden Lahmheiten beim Pferd im Bereich des Hufes im Sinne einer eitrigen Entzündung, sprich "Hufabszeß", lokalisiert. Diese Lahmheitsform ist für das Pferd sehr schmerzhaft und vermittelt daher die Symptomatik einer Notfallsituation. Allerdings besteht nun auch kein Anlaß, diese hochgradige Lahmheit auf die leichte Schulter zu nehmen, denn es können auch durchaus ernsthafte Läsionen im Bereich der Gliedmaße zu einer hochgradigen Lahmheit führen. Ich denke dabei insbesondere an Frakturen jeder Art. Bereits der Verdacht einer Fraktur erfüllt natürlich den Tatbestand eines Notfalles, in welchem dann sofort ein Fachmann zu Rate zu ziehen ist. Bei leichtgradigen oder mittelgradigen Lahmheiten sollte der Pferdebesitzer, sofern er zunächst keinen tierärztlichen Rat möchte, sein Pferd für einige Tage schonend oder gar nicht bewegen, dl.h. ihm Boxenruhe verordnen. Wenn jedoch eine sichtbare Lahmheit, ohne daß Veränderungen im Bereich der Gliedmaße wahrnehmbar sind, nicht nach einigen Tagen abgeklungen ist, sollte fachlich fundierte Hilfe in Anspruch genommen werden, weil auch hier gilt: desto gezielter und frühzeitiger Lahmheitsursachen behandelt werden, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß keine bleibenden Schäden sich einstellen.

Leichtgradige oder undeutliche Lahmheiten entstehen häufig infolge von Zerrungen, Verdrehungen oder Verstauchungen im Bereich von Sehnen, Bändern, Gelenken mit ihren dazugehörigen Gelenkkapseln sowie am Übergang von Sehnen zu ihren Ansatzstellen des Knochens. Besonders Reizungen von Sehne und den Übergängen von Sehnen zu ihren Ansätzen am Knochen führen zunächst zu nur undeutlichen Lahmheiten, die dann bagatellisiert werden. Bei Nichtbehandlung oder Nichtbeachtung führen jedoch besonders diese vermeintlich leichtgradigen Fehler zu langandauernden Bewegungsbeeinträchtigungen des Pferdes, die besonders für sportlich ambitionierte Reiter sehr ärgerlich sind.

Eine Besonderheit im Auftreten von Lahmheiten stellt die sog. Hufrehe dar, bei welcher beide Vordergliedmaßen oder alle vier Gliedmaßen des Pferdes betroffen sind. Sofern der Verdacht auf ein Entstehen einer Hufrehe besteht, sollte schnellstmöglich tierärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden, weil nur dann die Gebrauchsfähigkeit eines Pferdes erhalten werden kann. Verzögerungen in der Behandlung einer Hufrehe sind zumeist sehr verheerend, teuer und haben fast immer die dauernde Unbrauchbarkeit des Pferdes zur Folge.

Zusammenfassend läßt sich insbesondere im Hinblick auf hochgradig auftretende spontane Lahmheiten sagen, daß zunächst eine sehr eingehende Untersuchung des Hufes erfolgen muß. Wenn sich dabei der Verdacht einer eitrigen Entzündung im Huf herausstellt, ist dieses zwar für das Pferd sehr schmerzhaft, in der Regel aber nach einigen Tagen behoben. Differenzialdiagnostisch muß bei diesen hochgradig auftretenden akuten Lahmheiten jedoch der Verdacht einer Fraktur oder Fissur ausgeschlossen werden.

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