K r e u z v e r s c h l a g :


Beim Reiten im Gelände zeigt das Pferd plötzlich einen steifen Gang, beginnt stark zu schwitzen und zeigt Muskelzittern. Die Kruppe ist umfangsveremehrt, wie aufgequollen und bretthart. Das Pferd bleibt stehen und ist nicht mehr vom Fleck zu bewegen. So oder ähnlich könnte es sich zutragen, wenn das Pferd von einer der gefürchtetsten anstrengungsbedingten Erkrankung der Muskulatur ereilt wird, dem Kreuzverschlag. Heute sind es meist leichtfuttrige Arbeits- und Turnierpferde von rundlicher Form im Alter von 4 bis 8 Jahren, die von dieser Erkrankung betroffen sind. Andere Namen für diese Muskelerkrankung sind z.B. Lumbago und Feiertagskrankheit. Nach einer Ruhepause kann im typischen Fall bei schwer arbeitenden Pferden, die die volle Futterration erhalten, bei Wiederaufnahme der Arbeit die Erkrankung auftreten. Wegen ihrer kohlenhydratreichen Fütterung waren einst Brauerei- und Müllereipferde häufig betroffen. Ursachen für die Inaktivität können z.B. auch schlechte Witterung, Lahnheiten oder Verletzungen sein. Es wird vermutet, daß es in dieser Periode der Ruhe zu einer Anreicherung von Glykogen in der Muskulatur solcher Pferde kommt. Bei erneuter Aufnahme der Arbeit wird nun Glykogen über die Glukose besonders zu Milchsäure (Lactat) abgebaut, wodurch es in bestimmten Muskelanteilen zu einer Azidose (Senkung des pH-Wertes) und dadurch zur Verkrampfung der Muskulatur kommt. Kühle Witterung schafft zudem bei Pferden, die sich zuvor längere Zeit im Stall aufgehalten haben, eine Mangeldurchblutung, so daß die Milchsäure an ihrem Ort verbleibt. So kommt es zur Schädigung von Muskelzellen und zum Austritt von Muskelfarbstoff (Myoglobin) sowie zu einem manchmal enormen Anstieg der Serumenzymaktivitäten. Die Messung der muskelspezifischen Serumenzyme nach Blutentnahme ist neben der Beurteilung der klinischen Symptome die beste Möglichkeit, eine sichere Diagnose einer belastungsbedingten Erkrankung der Muskulatur zu stellen. Diese sind vor allem die Creatinkinase (CK) und in älteren Fällen die Glutamat-Oxalacetat-Transaminiase (GOT) und Lactat- dehydrogenase (LDH). Während bei normaler Arbeit der CK-Wert von 150 U/l um ungefähr das 3fache ansteigen kann, kann es bei schweren Kreuzverschlägen zu einem Anstieg bis zum 150fachen (!) des Normalwertes kommen. Weitere Blutuntersuchungen auf Na+, K+, Ca++ und Mg++ können nützlich sein, um Unterschiede zwischen belastungsbedingten Myopathien und Erkrankungen der Muskulatur anderer Entstehungsweise erkennen zu können. Die oben schon angesprochenen Symptome lassen hin und wieder auch andere krankhafte Zustände wie z.B. Kolik oder Hufrehe möglich erscheinen. Das Pferd zeigt hochgradige Schmerzäußerungen, einen ängstlichen Gesichtsausdruck sowie sowohl eine Erhöhung der Körpertemperatur als auch der Herz- und Atemfrequenz. Ein weiteres Führen des Pferdes kann zu einer Verschlimmerung der beschriebenen Probleme führen. Hin und wieder können solche Tiere zunächst in der Hinterhand einbrechen und schließlich zum Festliegen kommen. Im Gelände ist sofort abzusitzen.

Das Pferd wird nicht mehr bewegt. Nach Möglichkeit ist ein geeignetes Transportmittel zur Verfügung zu stellen, um es in seinen heimischen Stall zurückzubringen. Entweder dort oder bereits im Gelände sollte der sofort verständigte Tierarzt das Pferd untersuchen und behandeln. Nochmals sei gesagt: jedes weitere Bewegen des Pferdes muß unterbleiben! Durch platzende Muskelfasern tritt der Muskelfarbstoff Myoglobin aus und wird, nachdem die Kapazität der Nierenschranke überschritten ist, mit dem Harn ausgeschieden. Der Harn ist nun von rotbrauner bis schwarzer Farbe, je nach Gehalt an Myoglobin. Früher sprach man deshalb auch von der "braunen" oder "schwarzen Harnwinde". In schweren Fällen des Kreuzverschlages kommt es zur Verminderung des Harnabsatzes oder aber zur Harnverhaltung. Die Farbe des Harnes gibt dem Tierarzt und auch dem Besitzer die Möglichkeit, andere Krankheitsbilder auszuschließen. Kommt es bei schweren Verschlägen zum Festliegen des Pferdes, bleiben Aufstehversuche meist erfolglos. So sind Tiere, die nach 2 bis 3 Tagen nicht mehr aufstehen, meist dem Tod geweiht, da sie dann an den Folgen der Erkrankung (Kreislaufzusammenbruch und Herzversagen) sterben. Man versucht aber, das Pferd in Hängevorrichtungen zu fixieren oder wendet es alle 4 bis 6 Stunden auf die jeweils andere Seite. Das Blut der betroffenen Tiere ist aufgrund der hohen Körpertemperatur, des Flüssigkeitsverlustes bedingt durch Schockzustand und starkes Schwitzen meist stark eingedickt. Man findet Hämatokritwerte von über 60 %. Es ist nicht auszuschließen, daß von dieser Erkrankung schwer betroffene Pferde zu Tode kommen können, wenn sie nicht rechtzeitig und zudem unsachgemäß oder unzureichend behandelt werden. Die Prognose für festliegende Tiere ist oft zweifelhaft, während die Prognose bei noch stehenden Tieren davon abhängig zu machen ist, wie schnell sie therapiert werden und wie schnell nach erstem Auftreten von Krankheitsanzeichen Schonung respektive Ruhe eingetreten ist. Bei schwer erkrankten Tieren ist die Behandlungsdauer abhängig vom Umfang der aufgetretenen Schädigungen der Muskulatur sowie der Niere und anderer Organsysteme. Bei der Therapie des Kreuzverschlages kann nicht oft genug betont werden, daß die wichtigste Maßnahme das sofortige Ruhigstellen des Pferdes ist. Vor allem bei schwer erkrankten Tieren ist auch im weiteren auf absolute Boxenruhe zu achten. Vorsicht! Häufig wird Kreuzverschlag mit Kolik verwechselt und der Besitzer versucht, dem Pferd weiter Bewegung abzuverlangen. Das Pferd sollte im Bereich der langen Rückenmuskulatur und der Kruppe möglichst mit mehreren warmen Decken (Bekleidungsstücken, Stroh) abgedeckt werden und es sollte Schutz vor Wind und Zugluft geschaffen werden. Der herbeigerufene Tierarzt wird häufig als erste Maßnahme schmerzstillende, abschwellende und entzündungshemmende sowie entkrampfende Medikamente (z.B. Novalgin) verabreichen. Oftmals führen diese schon zu einer Lösung des Harnverhaltens. Wird der Harn nicht spontan abgesetzt, kann die Blase durch Massage vom Rektum aus oder durch Katheterisieren entleert werden. Wenn es der Zustand des Pferdes zuläßt, ist hin und wieder die Durchführung eines Aderlasses sinnvoll. Vor allem beim Vorliegen von

Myoglobinurie wird intravenös Flüssigkeit in Form von Ringer und Ringer-Lactatlösungen substituiert, um einerseits eine erhöhte Harnausscheidung zu schaffen und andererseits gleichzeitig einer Austrocknung des Organismus vorzubeugen. Mitunter scheint auch die Gabe von Natriumbicarbonat sinnvoll, um das Myoglobin im Harn besser löslich zu machen. Zudem wird auch von günstiger Beeinflussung der Muskulatur durch Gaben von Vitamin-E-Selen sowie durch die Verabreichung von Adenosintriphosphatinjektionen oder -tabletten gesprochen. In bezug auf die Anwendung von Cortisonpräparaten bei den unterschiedlichen Verlaufsformen des Kreuzverschlages herrscht in der Literatur geteilte Meinung. Sicher ist, daß bei zu hoher Dosierung dieser Präparate auch andere Krankheiten hervorgerufen werden können, wie z.B. die Hufrehe. Der Einsatz von Tranquilizern, also Beruhigungsmitteln, scheint dann nützlich zu sein, wenn die Tiere sehr stark beunruhigt und ängstlich sind. Sie haben zusätzlich die Eigenschaft, die Blutzirkulation an den betroffenen Muskeln zu steigern. In leichten Fällen von Kreuzverschlag hat ein mäßiges Bewegen der Pferde eine ähnliche Wirkung. Hier sollte aber genau auf die Anweisung des Tierarztes geachtet werden. Um vermehrte Wärme auf die betroffenen Muskelpartien zu bringen, können heiße Packungen mit Kartoffelbrei oder Leinsamen oder Einreibungen mit stark durchblutungsfördernden Substanzen wie z.B. Finalgon nützlich sein. Ein Pferdesolarium, wie bereits in vielen Reitställen installiert, leistet bei der Therapie sicherlich gute Dienste. Hierbei kommt es durch Infrarot- und UV-Licht zu einer kontinuierlichen und tiefenwirksamen Wärmeproduktion. Am Rande bleibt zu erwähnen, daß überdies auch andere nicht anstrengungsbedingte Faktoren zu ähnlichen Erkrankungen der Muskulatur des Pferdes führen können. Hierzu gehören z.B. die ernährungsbedingten Myopathien (Weißmuskelerkrankung der Fohlen = Vitamin-E-Selen Unterversorgung) oder Erkrankungen, die im Zusammenhang mit längerem Festliegen oder nach Narkose stehen. Auch werden in letzter Zeit immer wieder Pferde bestimmter Rassen (Quarter, Paint, Appaloosa) vorgestellt, die an der Erbkrankheit Hypp erkranken. Hypp (Hyperkaliämische periodische Paralyse) ist eine unheilbare Stoffwechselerkrankung, die häufig mit dem Kreuzverschlag verwechselt wird. Die Pferde leiden an Muskelkrämpfen und Lähmungen, die in Ruhe oder im Training auftreten. In neuerer Zeit treten immer häufiger vor allem im Raum Norddeutschland Fälle der sogenannten Atypischen Weidemyoglobinurie der Weidepferde auf. Trotz intensiver Therapie starben die meisten dieser Pferde, die ausnahmslos auf der Weide gehalten und nicht gearbeitet wurden. Die Tiere erkrankten meist nach besonders kalten Nächten. Im Falle des Kreuzverschlages hängt die Prognose stark von Grad und Dauer der Erkrankung ab und vor allem davon, ob die Belastung des Tieres beim Auftreten der ersten Anzeichen abgebrochen wird. Häufig kann bei leichten Fällen davon ausgegangen werden, daß bei rechtzeitiger Versorgung keine größeren Folgeschäden entstehen. So können in leichten Fällen die Symptome bereits nach 12 bis 24 Stunden vollständig abgeklungen sein. Bei immer wieder erneut

auftretenden Verschlägen muß auf Dauer mit einer Unbrauchbarkeit oder zumindest eingeschränkter Bewegungsfreiheit des Pferdes gerechnet werden. Fälle, in denen das Pferd innerhalb der ersten 3 Tage nicht wieder auf die Beine kommt, sind prognostisch als ungünstig zu bezeichnen. Um die beschriebenen Krankheitserscheinungen, die für den Kreuzverschlag typisch sind, gar nicht erst entstehen zu lassen, ist dafür zu sorgen, daß das Pferd tagtäglich regelmäßig bewegt wird. Ist dieses nicht möglich, so ist an Stehtagen auf eine strikte Kraftfutterreduzierung zu achten, um eine übermäßige Speicherung von Glykosen in der Muskulatur zu verhindern. Abschließend kann gesagt werden, daß beim Auftreten der schon erwähnten, den Kreuzverschlag kennzeichnenden Symptome der Pferdebesitzer versuchen sollte, ohne Hektik und Panik die richtigen Schritte einzuleiten, um größeren Schaden von seinem Pferd abzuwenden.